Es war zum verrückt werden. Unser erster Tag im Yellowstone neigte sich langsam dem Ende zu und von einem Grizzly geschweige denn einem Schwarzbären war weit und breit keine Spur. Bären faszinierten mich seit dem Kanada Roadtrip und dementsprechend große Hoffnungen hatte ich auch im Yellowstone Nationalpark wieder einen Bären zu finden nachdem das drei Jahre zuvor bereits geklappt hatte. Doch das Timing passte dieses Mal einfach nicht. Wir hörten wie andere davon erzählten, dass ein Schwarzbär fünf Minuten zuvor die Straße überquert hatte. Wir hörten auch davon, dass sie einen anderen zwischen den Bäumen gesehen hätten, mehrere hundert Meter entfernt. Wir hielten Ausschau, bewunderten Bisons und Wapitis und suchten doch vergeblich. Wir erreichten unsere Unterkunft in West Yellowstone ohne einen Bären an diesem Tag gesehen zu haben und meine ganze Hoffnung lag nun auf dem nächsten Tag.
Der nächste Morgen begann sonnig und kalt und hüllte die Täler des Yellowstones in ein wundervolles Licht. Doch schon bald zog Nebel auf und die Thermalquellen erstrahlten nicht mehr in den vielen Farben wie am Tag zuvor. Die Sicht verschlechterte sich zusehends und es wurde immer schwieriger irgendetwas überhaupt zu erkennen. An diesem Tag hatten wir vor rund 200 Meilen zu fahren. Von West Yellowstone nach Mammoth Hot Springs, von dort zum Canyon Village und schließlich nach Cody.

Als der Nebel sich etwas verzogen hatte, kam der Regen. Wir verbrachten viel Zeit damit einige Geysire abzufahren, Bisonherden zu beobachten und kleinere Trails zu wandern. Mammoth Hot Springs war zwar auch interessant, aber ähnlich wie Old Faithful komplett überlaufen. Dementsprechend war unser Aufenthalt dort nur kurz und uns zog es schnell wieder ins Auto um die Weiten des Yellowstones zu erkunden.
Good Bye Yellowstone!
Ich versuchte mir keine Hoffnungen mehr zu machen doch noch einen Bären zu sehen und als es schließlich 16 Uhr war, beschlossen wir uns langsam Richtung Cody zu begeben. Ich weiß nicht ob es stimmt oder vielleicht auch nur ein Gefühl ist, aber irgendwie ist auf dieser Strecke Richtung East Yellowstone nie so viel los wie im westlichen und südlichen Teil. Es vergingen teils viele Minuten bis uns ein anderes Auto entgegenkam und wir genossen diese Leere und Ruhe. Vereinzelt sah man noch das ein oder andere Bison, doch mehr war da nicht.
Und plötzlich ging dann doch alles ganz schnell. Wenn man im Yellowstone Autos am Straßenrand stehen sieht und kein Bison gerade die Straße überquert, dann kann es sich noch um eines handeln: Bär in Sicht.

Wir taten es den anderen gleich und parkten unser Auto ebenfalls am Straßenrand. Eine Menschengruppe von rund zehn, fünfzehn Personen stand am Straßenrand und blickten zu einem mit Bäumen bewachsenen Berghang. Wir sahen, dass wir nichts sahen, doch weil wir neugierig waren und in mir wieder die altbekannte Hoffnung aufkeimte, fragten wir, was dort zwischen den Bäumen denn zu sehen sein soll.
Ein Amerikaner, von oben bis unten in Camouflage gekleidet und mit dem weitaus längsten und breitesten Objektiv ausgestattet, antwortete nuschelnd „Grizzly“ und zeigte zwischen die Bäume. Ein Grizzly! Ein echter Grizzly! Endlich! Doch so sehr ich mich anstrengte, ich konnte den Bären einfach nicht sehen. Schließlich bot Mr Camouflage mir an durch sein Objektiv zu schauen und tatsächlich: Da war er. Entspannt lag er hinter einem Baumstamm, neben ihm das Geweih und der Korpus eines Wapitihirsches. Noch ganz träge vom Verspeisen seiner Beute konnte man sehen wie er langsam ins Reich der Träume glitt, wohlwissend dass er von rund einem Dutzend Zuschauer beobachtet wurde. Als ich vom Objektiv wegtrat, war der Grizzly verschwunden. Zwischen ihm und mir lagen rund 600 Meter. Zu weit um ihn mit bloßem Auge wieder zu finden.
Ich ging zurück zum Wagen und holte unsere Kamera und das Einbeinstativ. Mit dem Stativ konnte ich meine Kamera stabilisieren und auch wenn mein Objektiv bei Weitem nicht so gut war wie das von Mr Camouflage war es mir trotzdem möglich den Bären wieder zu finden. Währenddessen vergrößerte sich unsere Gruppe. Ein Ehepaar aus San Francisco gesellte sich zu uns und wie auch wir hatten sie Probleme den Bären zu finden. Doch als sie ihn schließlich entdeckt hatten, war die Begeisterung genauso groß wie bei uns. Und so standen wir dort eine Dreiviertelstunde und beobachten abwechselnd durch Mr Camouflages Objektiv – denn seins war einfach am Besten – wie der Bär ein Nickerchen hielt. Vielleicht muss man dabei gewesen sein um den besonderen Augenblick solch einer Situation nachvollziehen zu können, doch für mich hatte die Reise in diesem Moment einen Höhepunkt erreicht.
„Ich tausche lieber mal den Akku, just in case…“

Doch die Zeit saß uns im Nacken, die Sonne war bereits dabei hinter den Bergen zu verschwinden und so blieb uns nichts anderes übrig als uns von den anderen zu verabschieden und die Fahrt fortzusetzen. Im Auto tauschte ich aus Gewohnheit und einem Gefühl heraus die Akkus aller Kameras.
Wir waren gerade eimal drei Minuten gefahren, quasi direkt um die nächste Kurve, als wieder eine Reihe von Autos am Straßenrand stand. Und da war sie. Ich konnte sie bereits aus dem Auto sehen. Ein Grizzlyweibchen, noch nicht einmal 100 Meter entfernt, auf Nahrungssuche.
Wir stiegen aus, schlossen vorsichtig die Autotür und blickten auf das Tal herunter, in dem sie sich ungestört durch Laub und Gräser schnüffelte. Kaum jemand sagte ein Wort und alle verfolgten mit gebannten Blick den Bären. Rund eine Stunde standen wir dort, schossen einige Fotos, doch genossen die meiste Zeit einfach nur den Anblick. Irgendwann zog sie sich schließlich zurück und auch wir machten uns wieder auf den Weg. Wir hatten nicht nur einen Grizzly gesehen, sondern gleich zwei. Ein Höhepunkt folgte auf den nächsten. Und ich war mir sicher, dass war garantiert nicht der letzte Höhepunkt unseres Roadtrips.