Nightmare on Gillette Street

Zu einer erzählenswerten Reise gehört immer ein Supergau. Sei aus ein ausgefallener Flug, verschwundenes Gepäck, ein Last-Minute-Besuch beim Hausarzt aufgrund einer Bindehautentzündigung oder es ist eben das Hotel, in dem man gelandet ist, obwohl man so viel Zeit in Planungen, Überlegungen, Diskussionen und Recherche gesteckt hat, dass es eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit sein müsste in eben jenem Hotel zu landen. Doch vielleicht hat es unserem Roadtrip und der Geschichte dahinter einfach noch an ein wenig Raffinesse gefehlt, so dass ein Aufenthalt in einem solchen Hotel vorprogrammiert war und auch nicht verhindert werden konnte, vom Schicksal vorbestimmt und von uns dankbar entgegen genommen, denn immerhin schien der Preis der Lokalität zu stimmen und die Bilder beim altbewährten Buchungsportal sahen auch ganz nett aus. Das „Nett“ im Volksmund – verzeiht meine Ausdrucksweise – eben die kleine Schwester von Scheiße ist, haben wir dann aber erst vor Ort bestätigt bekommen. 

Rund 300, wenn nicht sogar 400 Kilometer hatten wir an jenem Tag auf den Buckel. Gefühlt lagen die schönsten Momente des Roadtrips bereits hinter uns und das anhaltende schlechte Wetter drückte noch ein wenig mehr aufs Gemüt. Einchecken, frisch machen, Abend essen, entspannen, einschlafen. Das war der Plan für den Rest des Tages. Doch schon beim Einchecken stellte ich fest: Mit Entspannung wird das hier nichts. Während der nette, wenn auch ein wenig skurile Herr uns eincheckte, las ich mir eins die vielen Hinweisschilder durch.

Warum Hunde die besseren Gäste sind

„Hunde schreien nachts nicht laut in den Hotelgängen. Hunde nehmen auch nicht ihr Zimmer auseinander. Hunde verprügeln nicht ihren Nachbarn von nebenan. Hunde stecken auch nicht die Möbel in Brand. Hunde nehmen nicht das Zimmerinventar mit, wenn sie unser Hotel verlassen. Sei wie ein Hund und benimm dich.“

Nein, das war kein witzig gemeinter Aufruf keine Kugelschreiber mitgehen zu lassen oder den Fernseher doch bitte ab einer gewissen Uhrzeit ein wenig leiser zu drehen. Das hier waren Beispiele echter Vorfälle, die in diesem Hotel passiert sind. Als wir schließlich vor unserem Zimmer standen, konnte ich mir bildlich vorstellen, was hier passiert sein musste. Während wir unsere Zimmertür mit einem Schlüssel öffneten, erzählten mir die Spuren an der Tür wie andere Gäste es  zuvor bereits versucht hatten: Mit Tritten, Stößen und allen Anschein nach auch ein paar Messerhieben. Welcome to hell!

Als wir das Zimmer betraten, machten wir eine Zeitreise. Leider nicht zu dem Moment, wo ich auf „buchen“ klickte – dann hätte ich dieses Vergehen sofort zu verhindern gewusst – sondern in ein Jahrzehnt, was verdammt weit von meiner eigenen Geburt entfernt war. Hätte es ein Radio in diesem Zimmer gegeben, so wäre ich nicht verwundert gewesen in Endlosschleife diese Newcomer Band aus Schweden namens Abba zu hören, 1974 lässt grüßen.

Während wir also unser persönliches Waterloo erlebten, rotierten in unseren Köpfen die Gedanken. Hier bleiben oder die Flucht ergreifen und uns stattdessen ein anderen Hotel suchen? Doch bevor wir eine Entscheidung treffen konnten, machten wir erst einmal eine Bestandsaufnahme.

Nightmare on Elm Gillette Street

Sichere Gegend? Negativ, denn das Hotel lag am östlichen Ende eines Highways, nahe des Industriegebietes und auch wenn ich jetzt niemanden zu Nahe treten möchte, aber wenn es in Wyoming einen Ort gibt, wo Dealer, Zuhälter und sonstigen Befürworter der Klein- und Großkriminalität nächtigen, dann ist es wohl eben jenes Hotel.

Komfort? Negativ, denn während wir uns im Zimmer bewegten, mussten wir aufpassen nicht über die Kabel von Lampen und Fernseher zu stolpern, die einfach achtlos auf dem Fußboden lagen. Der Anblick der sich wellenden und teilweise nicht mehr vorhandenen Tapete war zwar einerseits faszinierend, aber doch irgendwie auch erschreckend.

Sauberkeit? Negativ, denn beim Anblick der Badezimmerarmatur fragte ich mich, ob man Bad- und Glasreiniger in diesem Hotel überhaupt kannte. Doch schließlich entdeckte ich ihn doch noch, den einzigen Strohhalm, den ich ergreifen konnte, die Oase in dieser elenden Wüste: Das Bett war sauber und komfortabel. Vielleicht lag es daran, dass wir müde und kaputt waren und auch einfach keine Lust mehr hatten ein anderes Hotel zu suchen, oder es lag vielleicht auch einfach daran, dass wir mit den anderen Hotels einfach so viel Glück zuvor hatten und wir uns fragten, ob unser Anspruch dadurch einfach gestiegen war und wir uns nun anstellten und es vielleicht doch gar nicht so schlimm war … Fakt ist: Wir blieben.

Während ich tief und fest bis zum nächsten Morgen durchschlief – was wirklich ein absoluter Ausnahmefall ist – wurde meine bessere Hälfte Zeuge davon, wie sich nachts noch Leute auf den Fluren anschrien, Türen zugeschlagen wurden und im Nebenzimmer ein Baby die halbe Nacht lauthals brüllte. Von alldem bekam ich nichts mit. Ich hatte gut geschlafen, den Nightmare on Gillette Street erlebte jemand anderes. Und doch waren wir froh als wir schließlich wieder im Auto saßen und nicht nur das Hotel, sondern auch die Stadt hinter uns lassen konnten. Da ahnten wir zwar noch nicht, was uns noch erwarten wird, aber das, meine Lieben, ist eine andere Geschichte.


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